Lowperformer – Unwort des Jahres

Betreff: Artikel die Zeit: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-08/amazon-jeff-bezos-arbeitnehmer-ausbeutung-forced-ranking-mitarbeiterbeurteilung

Liebe Zeit. Am 7. Auguste 2015 veröffentlicht ihr unter der Rubrik Karriere den Artikel „Faulheit – Sagen Sie alle Termine ab!“ Am 18. August folgt der Artikel „Amazon – Abschied vom Lowperformer“ ebenso im Bereich Karriere. „Lowperformer“ – Das Unwort des Jahres aus meiner Sicht. Ist es nicht an der ZEIT eine neue Rubrik aufzunehmen, die wir LEBEN nennen und ist es nicht an der ZEIT, Unternehmen auf ihre moralische, soziale und ethische Verantwortung nicht nur hinzuweisen, sondern sie zum Handeln zu zwingen. Wir sprechen von der Macht der Medien. Welche Macht an dieser Stelle? Ich glaube nicht, dass die Herren im Vorstand und im Management großer Unternehmen heulend und vor Angst und Sorge zitternd in der Ecke sitzen. Wer seine Schäfchen im Trockenen hat, kann Verluste hinnehmen. Warum greift ein Unternehmen zu Mitteln, die durch nachhaltige Unternehmensführung unnötig wären? Aus Faulheit vielleicht und weil es schneller geht? Die Herren in der oberen Etage trifft es ja nicht. Herr Arbeitgeberanwalt Naujoks kommt zum Einsatz, der mich an den fressenden Herren in Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ erinnert. Dem Äußeren nach sollte Herr Naujoks sich eher um seinen Cholesterinspielgel kümmern anstatt um die Belange seiner Mandaten. Andernfalls beenden sehr schnell seine verkümmerten Arterien seine Tätigkeit als Rausschmeißer und dann ist Schluss mit der Fleischfresserei und Rotweinorgien im Beisein von Vorstandsmitgliedern. Hat der Mann keine Spiegel zu Hause? Und ob dieser Mann moralische, soziale und ethische Eigenschaften überhaupt vorweisen kann, bezweifle ich. Ebenso bezweifle ich, dass Herr Naujoks und die Herren Manager jemals Jobs der unteren Ebenen ausgeübt haben. Einfache Sachbearbeiteraufgaben? Mit Glück vielleicht als Studenten. Ich war gerade vor zwei Wochen bei einer Burger King Filiale an einer Raststätte und schon nach zwanzig Minuten habe ich mich gefragt, wie man den Lärm und den Stress aushalten kann. Es piepst ständig, alle wollen möglichst schnell was Fettiges zwischen die Zähne und die Schlangen am Drive In und an den Kassen werden nicht kürzer. Nun muss ich dazu sagen, dass ich in meiner Schulzeit eine Weile beim Wettbewerb mit dem großen M gearbeitet habe, allerdings nur Sonntags die Spätschicht. Zumindest konnte ich mir aber so ein Bild von der Tätigkeit und den Menschen, die sie täglich ausüben müssen, machen. Damit bin ich bestimmt weiter als die meisten Manager, Vorstände und Naujoks dieser Welt.

Ich bin absolut kein Lowperformer, habe nur 1a Arbeitszeugnisse und scheue nicht davor jeden ehemaligen Arbeitgeber für Referenzanfragen anzugeben. Ich habe auch nie einen wirklich schlechten Arbeitgeber gehabt, eigentlich habe ich fast nur gute Erfahrungen gesammelt und trotzdem musste ich miterleben, was obere Ebenen anrichten, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich selber habe also nicht viel zu jammern, was meine Arbeitgeber betrifft aber ich habe indirekt Ergebnisse diverser Optimierungsstrategien miterlebt.

Ich möchte euch drei kurze Arbeitsgeschichten erzählen.

Die erste Geschichte betrifft mich direkt. Ich war nach meiner Ausbildung zum IT-Kaufmann für ein kleines Unternehmen tätig, das im Auftrag eines großen IT Unternehmens mit zwei Buchstaben (der erst ist H) internen Client-Support durchführte. Das heißt, dass wir alle internen Benutzer bei PC Problemen betreuten. Diesen Service hatte das riesige IT Unternehmen bisher über interne Mitarbeiter abgewickelt und später outgesourct. Das Management des Unternehmens hatte den Bereich zudem in Nord und Süd aufgeteilt, so dass zwei Dienstleister sich den ganzen Bereich teilten und jedes Jahr neue Verträge ausgehandelt wurden. Das wiederrum bedeutete für die Mitarbeiter des Dienstleisters:

  • Immer maximale Leistung bringen.
  • Jedes Jahr am Ende hoffen, dass es im neuen Jahr weiter geht.
  • Oft ein Wechsel des Arbeitgebers, weil sich der Dienstleister preislich nicht mehr halten konnte. Gleicher Job und neuer Arbeitgeber aber mit weniger Gehalt.

Im Lauf der Zeit wurden 1st Level-Hotlines in verschiedenen Billiglohnländern aufgebaut und wieder abgebaut. Hatten wir erst mit einer Hotline in Deutschland zu tun, waren es am Ende Kollegen in Polen, Ungarn, Rumänien oder Indien. Ich vergesse nicht, wie nett die Leute in Polen waren. Zwar sehr unerfahren und mit wenig technischen Kenntnissen aber motiviert und engagiert. Und nach einem Jahr war für das polnische Team alles wieder vorbei. Der Job ging nach Rumänien. Mir wurde das schnell alles zu bunt und ich bin frühzeitig gegangen aber viele meiner Kollegen blieben, bis einer nach dem anderen gehen musste. Das Tragische an der Sache ist: Sowohl wir Externe als auch die internen Kollegen, mit denen wir zusammen arbeiteten, fanden die Zeit wundervoll (bis immer mehr abgebaut wurde), sprechen noch heute davon. Es machte Spaß, alle waren zufrieden und motiviert. Ein interner Projektleiter sagte einmal zu mir: „Ich könnte diesen Job mit euch bis zu meinem Renteneintritt machen. Ihr seid super, es läuft alles ohne Problem und alle sind zufrieden. Wir, ihr und die User.“ Das obere Management des großen IT Unternehmens hat dem Ganzen durch seine Sparstrategie ein Ende gesetzt, so dass nur noch ein Kollege (von ca. 300) vor Ort übrig ist, die polnischen Kollegen wohl arbeitslos und der Rest verstreut über das Land bei neuen Arbeitgebern oder arbeitslos. Das heißt: Durch diese Strategie wurden funktionierende Teams getrennt, motivierte Mitarbeiter demotiviert und Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben, vielleicht auch, weil sie Lowperformer wurden, entfacht durch die wachsende Unzufriedenheit und Ungewissheit. Wenn Manager, Vorstände und ihre Lakaien mehr mit den unteren Ebenen reden würden und zwar direkt, vielleicht auch aus ihren Reihen entstammen würden, könnten sie sich besagte Strategien vielleicht sparen. Im Prinzip heißt das: Ist der Lowperformer vielleicht zu einem Lowperformer geworden und könnte man aus dem Lowperformer einen Performer machen, indem man ihn motiviert, seine genauen Fähigkeiten ermittelt und anderweitig einsetzt? Wäre das nicht der langfristig effizientere Schritt? Und macht die verbreitete Angst, die durch die Lowperformerjagt entsteht, Performer und auch Highperformer im schlimmsten Fall zu Lowperformern (ich hasse dieses Wort)? Mit Sicherheit. Wo liegt dann der Sinn der Managerstrategien und der Nutzen von teuren Unternehmensberatungen? Nicht nur moralisch, ethisch und sozial kann man hier von einem falschen Vorgehen sprechen, sondern auch langfristig wirtschaftlich.

Zweite Geschichte: Mein Bruder arbeitet für eine Kommunikationsagentur, die Krisenkommunikation betreibt und somit schlechte Nachrichten vermittelt. Sein aktueller Kunde ist ein großer deutscher Konzern, der Stellen abbauen muss. Hierfür sucht man sich Fachleute, wie meinen Bruder und seine Kollegen. Diese wiederum schuften mindestens 60 Stunden pro Woche, eher 80 und mehr. Man arbeitet Samstags oder auch Sonntags und Lowperformer sind absolut undenkbar. Alle in dem kleinen Unternehmen sind reine Highperformer. Das heißt: Damit interne Mitarbeiter gehen, weil sie zu viel kosten oder zu wenig Arbeit vorhanden ist, werden externe Mitarbeiter beauftragt, die wiederum Überstunden leisten müssen, um die zu erledigende Arbeit zu schaffen. Eine gewisse Ironie liegt hier schon vor, oder etwa nicht?

Dritte und letzte Geschichte: Ein Freund von mir hat vor einem Jahr den Schritt von der Agentur zum Kunden gemacht und wurde direkt Leiter Marketing und Kommunikation im neuen Unternehmen. Seine erste Aufgabe: Das Unternehmen und seine Marke neu erschaffen. Neues Branding, neues Auftreten mit neuem Look und neuer Ausrichtung am Markt. Mit einem Team erreichte er im vorgegebenen Zeitraum sein Ziel, mit schnell erkennbaren Erfolgen in Form von Zahlen. Das Ergebnis: Die komplette Abteilung wurde gekündigt, da das Unternehmen verkauft werden sollte (obwohl es seit Jahren schwarze Zahlen schrieb), was wiederum missglückte und man daher das Unternehmen ausschlachten will. Mein Freund berichtete mir schon in der Anfangsphase, wie sehr ihm der neue Job gefällt, weil die Kollegen so nett sind und alles so gut läuft. Nach Jahren in der Agentur, unnötigem Stress und viel dicker Luft endlich ein tolles und motiviertes Team, das gut zusammen arbeitet. Jetzt muss er sich einen neuen Job suchen und die Motivation, die er in den neuen Job gesteckt hatte, ist angekratzt und deutlich eingegrenzt. Noch so eine Erfahrung und er lässt den Highperformer zum Performer werden und im schlimmsten Fall zum Lowperformer. Kein Fazit – die Geschichte spricht für sich. Ende der Geschichte.

Medien wie Die Zeit tragen Verantwortung für die Gesellschaft, haben die Zügel in der Hand und können etwas verändern. Nicht nur schreiben, sondern deutlicher werden und die Oberen zum Handeln zwingen. Unternehmen wie Amazon und Co. aber auch Leute wie Herr Naujoks sollten nicht nur den mahnenden Zeigefinger sehen, sondern den harten Tritt gegen das im Falle von Herrn Naujoks schwabblige Knie spüren, damit auch sie wissen, wie es ist, wenn man nachts vor Sorge über den Job nicht schlafen kann.

Ich selber habe Konsequenzen gezogen aus meiner Erfahrung und einem noch bestehenden Burnout, gehe einen neuen Weg und versuche damit andere zu ähnlichen Schritten zu bewegen. Vielleicht erreiche ich am Ende gar nichts und lande in der Gosse aber ich kann wenigstens sagen, dass ich es versucht habe.

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